Die jüdischen Vorbesitzer und ihr weiteres Schicksal
Es ist nicht einfach, den Lebensweg der jüdischen Vorbesitzer der von Familie Vetter arisierten Immobilien und Geschäfte zur verfolgen. Oft kennen wir nicht einmal den vollen Vornamen, manchmal wechselt die Schreibweise oder es gibt Menschen mit dem gleichen Namen. In der Emigration haben sich viele einen ganz neuen Namen zugelegt. Außerdem sind nicht alle aus Mannheim, was uns die Recherche sehr erschwert. Wir stellen nun einen Zwischenbericht zur Verfügung.
P1,1 B. Kaufmann
Das Geschäft hieß „B. Kaufmann, Spezialgeschäft für Damenmoden“. Es war von Bernhard Kaufmann 1906 gegründet worden. Das Grundstück P 1,1 gehörte Julius und Louis Landauer (Stuttgart), die in Stuttgart eine Manufakturwarenhandlung betrieben. Über die Schicksale dieser Kaufleute wissen wir nichts. Restitutionsakten sind nicht ermittelbar.
L 4,1 Hermann Mayer
Geboren am 1.1.1877 in Neidenstein, war freier Handelsvertreter, was damals ein angesehener und lukrativer Beruf war. Er arbeitete wohl auch für das Kaufhaus Vetter. Ihm gehörte das Wohnhaus in L 4,1 erst seit 1935. Frieda Vetter kaufte das Haus am 3.12.1938. Mayer zog vorübergehend in die Werderstraße 3 und emigrierte am 8.2.1939 nach Brüssel. 1965 kam er von Brüssel zurück nach Mannheim und starb hier im Alter von 93 Jahren am 13.3.1970 im jüdischen Altersheim. Er war unverheiratet. Es konnten keine Restitutionsakten ermittelt werden.
Das Haus L 4,1 hatte ursprünglich der Heidelberger Bauunternehmer Bungert gebaut, der es in den 1920er Jahren an den jüdischen Bankkaufmann Kurt Haas (1897 geb. in Bensheim) verkaufte. Kurt Haas verkaufte es an Hermann Mayer und emigrierte am 30.12.1934 nach Palästina, von dort aus Ende 1937 weiter in die USA.
Andere jüdische Bewohner des Hauses waren:
Dr. Fritz Kaufmann, geboren 25.6.1878 in Mannheim. Er zog nach dem Verkauf an Frieda Vetter nach L 5,4, emigrierte am 08.08.1939 nach England und starb dort am 11.11.1944 im Alter von 66 Jahren.
Der von den Nazis entlassene Landgerichtsrat Dr. Walter Leser (geb. 29.6.1877 in Heidelberg) wurde 1940 nach Gurs deportiert, hat in Frankreich überlebt, kam 1947 zurück und starb am 1.10.1948 im Alter von 71 Jahren in Mannheim.
N 7,4 Samt und Seide Lion und Martin Wohlgemuth
Geschichte von Samt und Seide:
Gegründet wird die Firma 1891 als Hutgeschäft in G 3,1 durch die Geschwister Melanie und Sofie Gutmann. Sofie zieht sich nach einigen Jahren aus dem Geschäft zurück, Melanie heiratet Lion Wohlgemuth (geb. 14.5.1871 in Mannheim, gest. 15.10.1938 in Mannheim), der die Firma unter dem Namen „Mannheimer Hutfabrik GmbH – Lion Wohlgemuth“ vergrößert. Sie betreiben nun nicht mehr nur Großhandel von Damenhüten und Putzwaren, sondern stellen diese auch selbst her. Sie wohnen am Oberen Luisenpark 9 und haben zwei Kinder: Martin und Klara/Cläre Wohlgemuth.
Klara (geb. 13.8.1898) heiratet am 4.10.1923 Paul Rothschild und zieht nach Freiburg.
Unter der Geschäftsführung von Lion Wohlgemuth expandiert die Firma Samt und Seide. Ab 1902 hatte das Unternehmen Filialen in Ludwigshafen, Karlsruhe, Pforzheim, Konstanz, Straßburg, Essen, Saarbrücken, Frankfurt, Gelsenkirchen. 1911 lässt er in G 3 einen Neubau errichten.
Ca. 1925 hat die Firma etwa 500 Beschäftigte. Sie firmiert nun unter „Mannheimer Hutfabrik Martin Wohlgemuth“, d.h. der 26jährige Sohn war in das Unternehmen eingestiegen, das sich neben dem Großhandel mit der Herstellung von Filz- und Strohhüten befasst.
Dr. Martin Wohlgemuth, geboren 7.10.1899 in Mannheim, studiert und promoviert und ist als „Fabrikant“ von „Samt und Seide“ im Mannheimer Adressbuch eingetragen. Er wohnte in der Leibnitzstraße 6.
Unter seiner Leitung kommt es zu einer noch größeren Erweiterung des Betriebs: Er gibt den Bau des größten und modernsten Geschäftshauskomplexes für ganz Baden bei dem berühmten Frankfurter Architekten Fritz Nathan in Auftrag. Es wird in N7 in den Jahren 1927–29 in zwei Bauabschnitten fertig gestellt. Zunächst das Geschäfts- und Fabrikationshaus in N7, 4 mit einem 600 qm großen Hofbau, dann wird für die Berliner Terra AG das Turmhaus in N 7,3 gebaut, in das das UFA-Kino und das Deutsche Beamten Warenhaus einzieht.
Zu seinen Kunden gehört auch das Kaufhaus Vetter am Tattersall, das 1936 das Turmhaus gemietet hat. Vetter beginnt sogleich mit Verhandlungen über den Kauf des Grundstücks und Gebäudekomplexes der Firma Samt und Seide. Die Verhandlungen ziehen sich über zwei Jahre hin, weil Wohlgemut die Immobilie und das Grundstück nicht ohne die Firma, die jetzt nur noch ca. 100 Beschäftigte hat, verkaufen will. Am 13.4.1938 verkauft er seine Firma an Heinrich Vetter senior.
Wenige Monate nach der Arisierung der Firma Samt und Seide, am 15.10.1938, stirbt der Gründer Lion Wohlgemuth mit 67 Jahren in Mannheim. Während der Vater noch vor dem Novemberpogrom starb, emigriert Dr. Martin Wohlgemuth (später Worth) am 15. 1. 1939 nach England, im Mai 1939 weiter nach Kenia, dort stirbt er am 10.12.1964 mit 65 Jahren.
Das Wohnhaus von Lion Wohlgemuth im Oberen Luisenpark Nr. 9 wird 1938 von M. Stromeyer, Lagerhausgesellschaft, gekauft.
In den Immobilien und G 3,1, und G 3,20, die Lion Wohlgemuth gehörten, waren weiterhin Hutgeschäfte ansässig, die ebenfalls arisiert wurden. 1937/38 hatte dort noch die Witwe Maria Wohlgemuth gewohnt. Wir wissen nicht, wessen Witwe sie war. Das Hutgeschäft Limbeck übernahm das Geschäft, als Eigentümer des Grundstücks wurde 1941 „Vogel“ angegeben.
B 1, 2-3 Firma Hut- und Putzvertriebs GmbH Gustav Zimmern
Gustav Zimmern, geboren 18.10.1877 in Mannheim, emigrierte am 1.3.1940 über Genua nach USA. Dort ist er am 19.8.1955 in New York gestorben. Es konnten keine Restitutionsakten ermittelt werden.
Karlsruhe: Firma Hugo Landauer
Der Besitzer war Julius Levy, Karlsruhe. Heinrich Vetter zahlte am 4.4.1960 auf dem Weg eines Vergleichs 75.000 DM an Julius Levy
Ilvesheim: Moritz Kaufmann
Besitzer des Grundstücks in der Schlossstraße in Ilvesheim, das am 13.4.1938 von Carl Heinrich Vetter für 15.000 RM gekauft wurde. Moritz Kaufmann überlebte und bekam im November 1951 eine Nachzahlung von 13.000 DM.
Quellen:
- Adressbücher Mannheim
- Dr. Christiane Fritsche, Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt. 2013
- Mitteilungen des Stadtarchivs Mannheim
- Mannheim, das Kultur- und Wirtschaftszentrum Südwestdeutschlands, hrg. von der Stadtreklame 1928
Stand der Recherche April 2020