Petition zur Anerkennung ignorierter NS-Opfer
Der Deutsche Bundestag soll die von der SS „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ genannten ehemaligen KZ-Häftlinge als Opfer des Nationalsozialismus anerkennen.
Zwischen 1933 und 1945 wurden mehrere zehntausend Menschen durch Kriminalpolizei oder GeStaPo in die Konzentrationslager eingewiesen. Sie sind bis heute nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. Die von den Nazis als „Asoziale“ diskriminierten Menschen (z. B. Obdachlose, Wanderarbeiter, Bettler, „Arbeitsscheue“ oder „Landstreicher“) wurden als „Ballastexistenzen“ bezeichnet. In den KZ wurden sie durch ein schwarzes Stoffdreieck (den „Winkel“) auf der linken Brustseite der Häftlingskleidung gekennzeichnet. Sie sollten aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden.
Mit einem grünen Winkel wurden solche Häftlinge gekennzeichnet, die von der Kriminalpolizei zu „Berufsverbrecherinnen“ und „Berufsverbrechern“ erklärt wurden. In den Augen der Nazis waren das Menschen, die durch vergangene Haftstrafen (z. B. wegen Diebstahls, Einbruchs, Abtreibung oder - tatsächlicher oder vermuteter - Zuhälterei, Prostitution oder auch in einigen Fällen wegen Gewaltdelikten) „bewiesen“ hätten, dass sie einen inneren Drang zu kriminellen Taten verspürten, dass sie nicht resozialisierbar seien. Straftaten zu begehen, wurde ihnen als charakterliche Eigenart oder angebliche Profession zugeschrieben. Sie wurden nach Verbüßung ihrer Strafhaft gegriffen, ohne weiteres Strafverfahren in die KZ gebracht. Tausende wurden ermordet.
Einen grünen Winkel trugen auch die „Sicherungsverwahrten“. Dabei handelte es sich um Personen, gegen die Gerichte auf Basis des Ende 1933 eingeführten „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ eine dauerhafte Verwahrung in Haftanstalten angeordnet hatten. Nach einer Übereinkunft zwischen dem Reichsjustizministerium und der SS überstellten die Justizanstalten ab Ende 1942 Tausende „Sicherungsverwahrte“ zur „Vernichtung durch Arbeit“ in die Konzentrationslager, wo diese Gruppe eine enorm hohe Todesrate aufwies. Unter den „Sicherungsverwahrten“ befanden sich Menschen mit verschiedenen Vorstrafen, darunter auch Männer, die wegen „homosexueller Handlungen“ verurteilt worden waren.
In den KZ beteiligte die SS einen Teil der Insassen an der Durchsetzung ihres perfiden Terrorsystems, indem sie diese zu sogenannten „Funktionshäftlingen“ bzw. „Kapos“ ernannte. Das betraf Häftlinge aller Winkelfarben. Dennoch werden die Häftlinge mit dem grünen Winkel wie keine andere Gruppe pauschal mit den „Funktionshäftlingen“ gleichgesetzt. Nach der Befreiung hat es zu Recht Strafverfahren nicht nur gegen SS-Angehörige, sondern auch gegen „Funktionshäftlinge“ wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegeben, die zum Teil auch mit der Todesstrafe endeten. Aber man darf nicht vergessen: In die Situation, sich als Helfershelfer der SS zu gerieren und die gewünschten Willkürakte zu begehen, sind „Funktionshäftlinge“ nur deshalb gekommen, weil sie gegen ihren Willen und völlig zu Unrecht in ein mörderisches System gezwungen wurden.
Im öffentlichen Bewusstsein sind die Häftlinge mit dem grünen und schwarzen Winkel nicht als Opfer des Nationalsozialismus präsent.
Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Die sozialbiologisch motivierte Verfolgung hielt auch nach 1945 noch an. „Asoziale“ wurden noch bis weit nach Kriegsende „verwahrt“.
- Die KZ-Haft gegen sogenannte „Berufsverbrecherinnen“ und „Berufsverbrecher“ galt innerhalb der Polizei- und Justizbehörden nicht als spezifisch nationalsozialistisches Unrecht, sondern als „Kriminalpolitik mit anderen Mitteln“.
- Die Betroffenen mit dem grünen und dem schwarzen Winkel haben die diskriminierenden Zuschreibungen häufig verinnerlicht, haben so gut wie keine Lebenserinnerungen verfasst und oft selbst in den Familien geschwiegen.
- Die beiden Opfergruppen haben sich bis heute nicht assoziiert, haben keine Interessengruppen gebildet, keine Forderungen gestellt.
- Wissenschaftliche Forschung hat sich jahrzehntelang nicht um sie gekümmert. Es hat z. B. keine aufsuchende Forschung gegeben, als es noch möglich gewesen wäre.
Erst in den letzten Jahren sind nun einige wichtige Forschungsarbeiten vor allem von jüngeren Wissenschaftlerinnen vorgelegt worden, die ein Ende des Beschweigens nahe legen. Auch der Beirat der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ plädiert in einem „Aufruf“ vom 12. Dezember 2016 für eine „längst überfällige Erinnerung an verdrängte Opfer des NS-Unrechts“ und stellt fest: „Niemand saß ‚zu Recht‘ im KZ, auch Menschen mit dem schwarzen und dem grünen Winkel nicht.“
Nichts ist vergleichbar mit der Shoa. Der millionenfache Mord an den europäischen Juden, dieser rassistisch motivierte Vernichtungswille darf durch keine Parallelisierung relativiert werden. In der erinnerungskulturellen Praxis muss dieser Umstand immer im Vordergrund stehen.
Aus guten Gründen hat uns dies aber nicht gehindert, auch andere Opfergruppen nicht ins Vergessen geraten zu lassen. So ehren wir selbstverständlich die gequälten und ermordeten politischen Gegnerinnen und Gegner, diejenigen die Widerstand geleistet haben, seit den 1980er Jahren auch die verfolgten Homosexuellen oder auch die Deserteure, die Sinti und Roma und die Kriegsgefangenen. Jetzt geht es darum, zwei der letzten bislang ignorierten Gruppen ebenfalls als Opfer des Nationalsozialismus offiziell zu würdigen. Darüber hinaus wäre die Anerkennung ein Signal an die Nachkommen und Freundeskreise der Opfer, dass das Schweigen auch für sie nun ein Ende hat.
Die Unterzeichnenden fordern die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, B90/Grüne, DIE LINKE und FDP dazu auf, in einer gemeinsamen Entschließung die Anerkennung der ehemaligen KZ-Häftlinge mit den schwarzen und grünen Winkeln als Opfer des Nationalsozialismus auszusprechen.
Das lange Zuwarten hat dazu geführt, dass man über Entschädigungszahlungen für die vermutlich über 70 000 Betroffenen nicht mehr reden muss. Wohl aber sollten begleitend Mittel bereitgestellt werden für einschlägige Forschungsprojekte an Gedenkstätten und Universitäten, für themenbezogene Wanderausstellungen und Projekte der Politischen Bildung.
Initiatorinnen und Initiatoren:
- Dr. Julia Hörath, Hamburger Institut für Sozialforschung,
- Mag. Sylvia Köchl, Politikwissenschaftlerin und Journalistin, Wien
- Mag. Andreas Kranebitter, Soziologe, Wien, Gedenkstätte Mauthausen,
- Dr. Dagmar Lieske, Historikerin, Berlin
- Prof. Dr. Frank Nonnenmacher, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt am Main