Das Mahnmal kommt auf den Weg

Ende 2010 stellt der AK-Justiz dem Oberbürgermeister und dem Leiter des Stadtarchivs seine Projektidee eines „mobilen Erinnerungsdenkmals“ vor, das von Schüler*innen und Studierenden betreut werden soll. Geplant ist es, die Geschichte der Zwangssterilisation im Nationalsozialismus mit aktuellen gesellschaftlichen Themen wie Vorurteile, Selektion, Ausgrenzung und Eugenik zu verknüpfen. Der OB begrüßt das Projekt.

Zur Realisierung des Mahnmalprojekts mit Text und Gestaltung trifft sich 2011 zum ersten Mal ein Runder Tisch mit dem Arbeitstitel „wachsen lassen“. Damit sollte ausgedrückt werden: „Alles darf wachsen und sich vermehren: Grobes, Feines, Krummes, Gerades, Dickes, Dürres. Zwangssterilisierung ist ein Verbrechen.“ So lautet der ursprünglich entworfene Text für das Mahnmal, der jedoch später einvernehmlich verworfen wird.

Zwangssterilisation Mahnmal vor dem Klinikum Mannheim

Teilnehmende am runden Tisch sind zunächst das Amtsgericht, das Universitätsklinikum, Gesundheitsamt, die medizinische Fakultät: Medizin-Ethik, der AK- Justiz und das Stadtarchiv Mannheim. Der Kreis erweitert sich in den folgenden Jahren.

Im Sommer 2012 schreibt die Stadt Mannheim einen Künstler*innen-Wettbewerb aus. Es gibt fast zwanzig Entwürfe. Die Jury unter dem Vorsitz von OB Dr. Kurz entscheidet sich für den Entwurf von Michael Volkmer.

Auf der Front des Mahnmals steht die Aussage eines Opfers:

„Weil sie meinen ich bin weniger wert wie andere“
Zwangssterilisierung ist ein Verbrechen

Darüber hinaus gibt es eine Begleittafel mit folgendem Text:

Über 1.900 Menschen wurden in Mannheim in der Zeit des Nationalsozialismus wegen angeblichen Schwachsinns, seelischer Krankheiten und körperlicher Gebrechen gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht. Sie wurden seelisch und körperlich verstümmelt und sozial ausgegrenzt.

An diesem Verbrechen waren Ärzte, Richter, Lehrer, Fürsorger und viele Denunzianten beteiligt, ohne dass sie je zur Verantwortung gezogen wurden.

Dieses Mahnmal wird zur Erinnerung an die Opfer an den Orten des Verbrechens aufgestellt. Es wird von Mannheimer Schülerinnen und Schülern betreut.


Enthüllung des Mahnmals für die Opfer der Zwangssterilisierung

Enthüllung des Mahnmals durch  Oberbürgermeister Dr. Kurz

Im November 2013 wird das Mahnmal vor dem Amtsgericht Mannheim enthüllt. Der Arbeitskreis Justiz führt hierbei die szenische Lesung auf.

Pressemitteilung der Stadt Mannheim über die Enthüllung des Mahnmals


Mahnmal vor dem Amtsgericht MannheimStimmen zum Mahnmal:

Intention des Künstlers war es, die Passanten, welche auf das Mahnmal treffen zu irritieren und ihnen einen spröden „Klotz“ in den Weg zu stellen. Der zwei Meter hohe Quader scheint wie aus über tausend einzelnen Würfeln aufgestapelt - jeder Würfel repräsentiert hierbei ein Opfer der Zwangssterilisierungen. Ecken und Kanten sind stark abgerundet als Bild für die Ausmerzung der Individualität; der einheitliche Guss in „hellelfenbein“ wirkt zusätzlich gleichmachend und uniformierend.

In der Hochglanzoberfläche kann der Betrachter schemenhaft sein Spiegelbild erkennen und sich die Frage stellen wie er selbst seinerzeit beteiligt gewesen wäre – als Opfer, Täter oder Zuschauer? Als zustimmender, abgestoßener oder gleichgültiger Zuschauer?

Auf der Website Gedenkort-t4

Gedanken von Elsa Romfeld: „Genichtete Leben“

Auf der glatten, leicht spiegelnden, spießig-schmutzig-weißen Oberfläche dieses Objektes wächst nichts, da lebt nichts. Da kann nichts leben. Und da soll, so vermutet man instinktiv, nichts leben können. Seine Sterilität ist jedenfalls nicht die neue Lebendigkeit. Das Objekt hat insgesamt nichts Lebendiges, nichts Dynamisches. Bemerkenswert befremdlich steht es einfach da, „west an“.

Und dann sieht man es auf einmal: Auf der Oberfläche des Objekts wächst – Nichts. Bedrückend anwesend nichtet es alles potentiell Seiende und lässt es gerade dadurch schmerzlich sichtbar werden. Das menschliche Sein, das „Dasein“, mit Heidegger als „Hineingehaltenheit in das Nichts“ bestimmt, ängstigt sich in der Gestalt des Betrachtenden unweigerlich. Der Anblick der toten Oberfläche ist uns unheimlich. Hier findet nichts, niemand Heimat, Wärme oder Halt. Stattdessen ist man schonungslos konfrontiert mit Gleichschaltung und Entwertung alles Lebendigen in dessen genichteter Einzigartigkeit.

Es ist, als ginge eine stumme Mahnung von dieser objektgewordenen Deindividuation aus: Leben ist Bewegung, Diversität, ohne die wir dem Abgrund preisgegeben sind. Jeder einzelne von uns ist bei diesem Anblick aufgerufen, einer sterilen, verflachten, intoleranten Welt etwas entgegen- und sich für Andere, Anderssein, kurz: für Wachstum und Vielfalt einzusetzen.


Das Mahnmal als Gedenkort

Seit 2016 erhält der AK-Justiz von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg Fachbereich Gedenkstättenarbeit eine Basisförderung für ehrenamtlich arbeitende Gedenkstätten in Trägerschaft von Vereinen. So wird das Mahnmal als Gedenkstätte anerkannt. Der Arbeitskreis ist seitdem Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen in Baden-Württemberg (LAGG).
Bei der bundesweiten Fachtagung “Euthanasie” und Zwangssterilisation halten wir im November 2018 in Trier ein Referat zur Eugenik und stellen die Arbeit des Arbeitskreises rund um das Mahnmal vor.

Von Schulklassen betreut

Seit 2013 „wandert“ das Mahnmal jährlich. Es steht jeweils an den „Orten der Täter“. Folgende Schulen übernahmen bereits eine Patenschaft:

  • Standort Amtsgericht: Friedrich-List-Schule und Ursulinen-Gymnasium
  • Standort Klinikum: Ludwig-Frank-Gymnasium und Heinrich-Lanz-Schule II,
  • Standort Diakonissenkrankenhaus: Johann-Sebastian-Bach-Gymnasium, Wilhelm-Wundt-Realschule
  • Standort Gesundheitsamt: Eberhard-Gothein-Schule, Max-Hachenburg-Schule
  • Standort Jugendamt: Karl-Friedrich-Gymnasium, Tulla-Realschule
  • Standort Hochschule: Fachbereich Sozialwesen, Merkurschule und Mollgymnasium,
  • Standort K7 Bürgerdienst/Standesamt. Justus-von-Liebig-Schule und Elisabeth-Gymnasium
Wichtig war und ist dem AK-Justiz, dass das Mahnmal nicht nur ein Ort des Gedenkens ist, sondern auch Gedanken für die Gegenwart und Zukunft anregen soll. Schulen betreuen es und setzen sich unter anderem mit der Thematik des staatlichen Zwangs auseinander. Das tun sie auf vielfältige Weise.

Verschiedene Aktivitäten und kreative Ideen von Schulen sind dabei entstanden:

  • Leporello mit täglichen Fotos des Mahnmal
  • Straßenaktionen am Mahnmal selbst
  • alternative Entwürfe zum Mahnmal
  • szenische Darstellungen im öffentlichen Raum
  • eigene szenische Lesungen
  • Film über das Schicksal von Betroffenen
  • Recherchen am Marchivum

Eine eigene Webseite, ein Wikipedia-Artikel und ein Youtube-Kanal wurde von Schüler*innen und Leher*innen der Max- Hachenburg- Schule entwickelt und ins Netz gestellt. mahnmal-ns-zwangssterilisation-mannheim.de/
Auf Anfrage verschiedener Schulen halten Mitglieder des AK_Justiz Unterrichtsstunden über das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und die Folgen.

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