Das letzte vollstreckte Todesurteil des Sondergerichts Mannheim

Wilhelm Fuchs, geboren am 27.6.12 in Titisee, lernt Karosserieblechner in Freiburg, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Frau ist infolge einer Polio-Erkrankung gelähmt.

Im Februar 1940 – mit 27 Jahren - wird der zum Infanterieregiment 335 eingezogen, wird zunächst im Westen eingesetzt, und dann an der Front im Osten. Im April 1942 desertiert er.

Er kehrt nach Freiburg zurück und lebt ein ¾ Jahr bei seiner Familie im Versteck. Im Januar 1943 wird er von der GESTPO in Freiburg festgenommen und vor das Kriegsgericht in Straßburg gebracht. Als Deserteur wird er im März 1943 zum Tode verurteilt. Da er glaubhaft machen kann, dass er aus Gefangenschaft geflohen sei, wird das Urteil in eine 15jährige Zuchthausstrafe umgewandelt.

Die Zuchthausstrafe sollte er in ein einem der Emslandlager im Moor verbüßen. Bei der Überführung in das Gefängnis Zwischenahn gelingt Wilhelm die Flucht.

Fast zwei Jahre hält er sich nun im Rheingebiet zwischen Freiburg und Mannheim auf. Seine Versuche, ins Ausland zu gelangen, scheitern. Er schlägt sich hauptsächlich mit Diebstählen durch, wobei er vor allem in offensichtlich reichen Häusern im Keller nach verstecktem Geld, Schmuck und Kleidung sucht. Einmal findet er dabei ein Versteck mit ca.100 000 RM. Er nimmt mehrere Bündel davon und verteilt die Scheine auch an Arme, indem er Geldscheine im Vorbeigehen fallen lässt. Manche stecken das Geld ein, andere tragen es ihm hinterher. Denen gibt er großzügigen „Finderlohn“.

Aus Notizblättern, die Wilhelm bei sich hat, geht seine antifaschistische Haltung hervor, und wie sehr er dieses diebische Leben auf der Flucht selbst verachtet. „So wurde mir im Hass gegen das Nazitum der Entschluss in der bitteren Not zum Muss, mein Leben mit dem zu fristen, was mir in meinem tiefsten Inneren zu wieder war, was mich anekelte, nämlich in meiner Not stehlen zu müssen. Ich tat es mit voller Wut, da wo ich Nazivillen vermutete, denn im Grunde genommen hat das Nazitum mich zur dem gebracht in meinem Unglück. Ich tat es mit Vernunft:  armen Leuten habe ich nur ungewollt, weniges entwendet.“

20 Monate lang hat Wilhelm Fuchs unwahrscheinliches Glück und wird nicht entdeckt. Doch im November 1944 wird er in Rastatt gefasst, es gelingt ihm abermals die Flucht aus dem Untersuchungsgefängnis. Drei Monate später, am 8. Februar 1945, schnappt man ihn in Heidelberg. Das Kriegsende ist Mitte Februar bereits abzusehen.

Bei ihm gefunden wird ein relativ hoher Bargeldbetrag und Schmuck aus einem Koffer in einem Luftschutzkeller. Damals gilt das nicht nur als schwerer Diebstahl, sondern als ein Vergehen gegen die sogenannte „Volksschädlingsverordnung“. Und damit ist es ein Fall für das Sondergericht Mannheim. Dieses berüchtigte Gericht ist für seine schnelle Aburteilung bekannt. Seine Urteile sind sofort rechtskräftig.

Der Vorsitzende Richter am Sondergericht, der 70jährige Edmund Mickel, kümmerte sich eigens darum, dass die Hauptverhandlung möglichst schnell stattfindet. Das Mannheimer Gerichtsgebäude ist aber bereits zerstört, und ebenso die Hinrichtungsstätte in Stuttgart. Die Verhandlung soll deshalb in Bruchsal stattfinden. Der ermittelnde Staatsanwalt Schmitz ordnet ausdrücklich schwerste Fesselung bei der Überführung ins Bruchsaler Gefängnis an. Aber auch Bruchsal ist inzwischen durch einen schweren Bombenangriff weitgehend zerstört. Die Alliierten stehen 20 km entfernt auf der anderen Rheinseite.

In dieser Situation findet die Hauptverhandlung am 19.3.45 statt. Einen Schriftführer kann das Gericht nicht mehr nach Bruchsal beordern, so dass die Herren Richter selbst das spärliche Protokoll führen. Der als Verteidiger bestimmte Referendar Helmut Benz erreicht Bruchsal von Heidelberg aus mit dem Fahrrad, denn Züge können auch nicht mehr fahren. Vor einer inhaltlichen Vorbereitung kann keine Rede sein.

Die Verhandlung ist kurz. Das Urteil: Todesstrafe als "Gewohnheitsverbrecher und Volksschädling" wegen sog. Plünderung. Es wird am nächsten Tag, am 20 März 1945 um 18 Uhr durch Erschießen im Bruchsaler Steinbruch gnadenlos vollstreckt. Es ist die letzte Hinrichtung in Bruchsal gewesen.In Heidelberg werden am 30. März die weißen Fahnen gehisst.

Nach dem Ende der NS-Zeit

Der Arbeitskreis Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mannheim hat ab 1995 die Todesurteile des NS-Sondergerichts gesichtet. Sie galten zu diesem Zeitpunkt – also 50 Jahre nach der NS-Zeit alle noch als rechtskräftig.

In den Akten von Wilhelm Fuchs findet sich sein Abschiedsbrief an seine Frau und seine zwei Kinder. Im Original. Er wurde nicht an sie weitergeleitet.

Offensichtlich ist die Witwe auch nicht vom Tod ihres Mannes benachrichtigt worden. Noch 1948 forscht sie über einen Rheinauer Pfarrer über die Todesumstände nach. Sie will Hinterbliebenenrente beantragen. Die Witwe bemüht bis 1971 offenbar erfolglos bis vor dem Landessozialgericht in Bayern um Rente. 1993 versucht sie noch einmal unter Hinweis auf die neue Rechtsprechung, Hinterbliebenenrente zu bekommen. Dann verliert sich ihre Spur.

Aus den Akten geht auch hervor, wie drei Geschädigte sich um Geld streiten, das bei Wilhelm gefunden wurde. Lauter reiche Heidelberger, die über zwei Jahre lang in akribischer Manier ihr Geld wieder eintreiben – mit Erfolg.

Nicht aus diesen Akten geht hervor, was die beteiligten Juristen nach 1945 gemacht haben. Soweit es aus anderen Quellen verfolgbar ist, setzten die Richter und Staatsanwälte nach 1945 ihre Karriere unbehelligt fort oder genossen ihre Pension. Die Urteile des NS-Sondergerichts wurden erst 1998 pauschal als NS-Unrecht aufgehoben. Zu einem Zeitpunkt, an dem kein ehemaliger Sonderrichter mehr in Amt und Würden sein konnte.

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